Versuch der Restaurierung eines Ochsenkopfglases von 1699

    • Offizieller Beitrag

    etwas für's Sommerloch:


    Hallo Freunde,

    vor einigen Wochen bekam ich die Scherben eines Fichtelgebirgsglases in die Hände.
    Wann es zerbrochen war, weiß ich nicht, aber es hatte sich schon vor langer Zeit jemand damit beschäftigt, denn Klebespuren waren an den Scherben zu sehen, die sich jedoch mit einem Skalpell leicht, wie Zellophan, ablösen ließen.

    Alle Scherben des Glases waren vorhanden, sodass nur feine Absplitterungen an den Brüchen als Fehlstellen zu beklagen waren. Dort, wo das Glas seinen zerstörenden Schlag erhalten hatte, war ein Loch im Glas von ca. 3mm².

    Da ich noch nie Glas zusammengeklebt hatte, "ergoogelte" ich mir eine Diplomarbeit von Ronald Simke, 2004, mit dem Thema "Die Verwendung reaktiver Acrylatklebstoffe zur Klebung archäologischer Gläser".

    Diese hochinteressante Arbeit hat mir den Weg gezeigt, womit ich das Glas kleben konnte.

    Gefordert ist, dass der Kleber so dünnflüssig ist, dass er in die feinen Spalte der Brüche selbständig einzieht, dass die Festigkeit des Klebers gewährleistet ist, der Brechungsindex des Klebers dem des Glases gleicht, Altersverfärbungen des Klebers sich in Grenzen halten und Schrumpfung des Klebers beim Aushärten unterbleibt. Ebenso ist zu fordern, dass der Kleber auf den glatten Brüchen des Glases adsorbtiv genügend hält, da sich auf diesen Glasbruchflächen permanent ein, wenn auch dünner, Wasserfilm befindet. Dieser Wasserfilm kann nur mit Hitze kurzzeitig entfernt werden, Hitze führt jedoch zur Zerstörung des Glases.

    Das Fazit der Diplomarbeit von Simke zeigt, dass der Kleber Araldite 2020
    die oben genannten Forderungen weitestgehend erfüllt.

    Araldite 2020 ist bei verschiedenen Händlern zu beziehen und wird als Gebinde zwei verschiedener Flüssigkeiten mit Mischbechern, Spateln und Messpipette geliefert. Die Mischung erfolgt durch Zusammenschütten der beiden glasklaren Flüssigkeiten im Verhältnis 10 : 3 Volumenanteile. Sorgfältiges, langsames Vermischen mit dem Mischspatel ist gefordert, damit keine Luftblasen eingerührt werden.

    Die Scherben des Glases habe ich dann, nach sorfältiger Reinigung mit Spüliwasser und danach mit Aceton, mit feingeschnittenen Tesastreifen bündig zusammengeklebt. Beim Zusammenfügen des Glases konnte ich das beobachten, was ich schon bei der Restaurierung zerbrochener Steinzeugkrüge bemerkt hatte. So 100%ig passen die Scherben nicht mehr zusammen. Beim Bruch freigewordene Spannungen im Material, dadurch bedingte geringe Verformung der Scherben, kleinste Spalte usw. lassen einen schier verzweifeln. Immer steht eine Scherbe ein ganz klein wenig vor.

    Von den Holländern hörte ich, dass sie Steinzeugkrüge mit Tesafilm zusammensetzen und dann ein Dauervakuum auf den Krug geben, um ihn dann erst zu kleben. Oder sie schleifen überstehendes Material an einzelnen Scherben fort.

    Das alles kam für mich nicht infrage, dafür habe ich auch keine Vorrichtung, Das Glas ist dafür auch zu fragil.

    Nach dem Zusammensetzen des Glases und größtmöglich genauer Ausrichtung der Scherben habe ich dann mit einem feinen Pinsel Nr.0 den Klebstoff aufgenommen und vorsichtig in die feinen Glasspalte laufen lassen.
    Die Standzeit des Klebers beträgt ca 1 Stunde, dann wird er zähflüssig und dringt nicht mehr in die Spalte ein. Die Aushärtung beträgt ca. 24 Stunden.
    Übergetretene Kleberreste auf dem Glas sind mit Isopropanol leicht zu beseitigen. Solange der Kleber im Mischgefäß noch flüssig ist, lässt er sich auch mit Spüliwasser leicht emulgieren und entfernen. Auch der Pinsel ist so zu reinigen, nachher noch Auswaschen in Isopropanol.

    Das Glas zeigt sich nun wieder in seiner ganzen Schönheit. Die Brüche kann ich nicht beseitigen, aber sie fallen beim Betrachten kaum mehr auf. Selbst das Lesen des Textes auf dem Glas ist nun leicht möglich.

    Der Text lautet:

    Der Fichtelberg bin ich genannt / in oberen Franken wohl bekant,
    4 Schiffereiche Wasser aus mir kommen frey / auch fein Silber Gold Erz und Bleij.
    Den Main lass ich in Franken ein / hergegen bekomm ich den Wein.
    Die Saall die läuft in Sachsen / allda ist mir die Frücht gewachsen.
    Die Eger die läuft ins Böhmerland / da kömpt mir daß Vieh wieder zur Hand.
    Die Naab läuft durch die Pfaltz / dargegen läßt Sie mir daß Salz.

    Vivat Patron


    Wer sich von Euch mit Fichtelgebirgsgläsern/Ochsenkopfgläsern einmal beschäftigen möchte:

    http://www.fichtelgebirgsverein-bischofsgruen.de/Tilde-Ostertag…sglas.38.0.html

    http://www.familie-wanderer.de/Fichtelgebirgs…irgsglaser.html

    Gruß - Winfried

    • Offizieller Beitrag

    Hier nun die Bilder des fertigen Glases:

    das letzte Bild zeigt die Stelle, wo das Glas seinen zerstörerischen Schlag abbekommen hat.

    Gruß - Winfried

  • Danke dir Winfried für die tolle Ausführung.Bin vor kurzem mit der Jacke an einer römischen Glasflasche hängen geblieben.Ging natürlich zu Bruch.Hab ich aus Wut verschenkt...Das nächste Mal mach ichs dir nach...

    In Hessen ist der Dativ dem Genitiv sein Tod

    • Offizieller Beitrag

    ...freut mich, wenn's Euch gefällt.

    @ Dreiwirbel, ich hätte noch vom Araldite übrig gehabt, denn das kleine Gebinde beinhaltet 500 Gramm und hat noch eine Haltbarkeit bis 2013.

    Zum Ganzen noch ein paar Bemerkungen.

    Ich habe das Restaurieren nicht gelernt. Das ist ein Beruf, der, und das wisst ihr alle, eine fundierte Ausbildung und jahrelange Übung erfordert. Bei eigenen Vorhaben sollte man seine Grenzen kennen, sonst ist der Schaden, den man anrichten kann, bei wertvollen Gegenständen ggf. hoch.

    Mit dem o.g. Kleber ist eine reversible Klebung nicht möglich. Der Kleber wird hart wie Stein und ist mit den handelsüblichen Lösungsmitteln nicht mehr anlösbar.

    Die Fixierung der Scherben erfolgt bei den Berufsrestauratoren oft mit metallenen "Omegahäkchen", die reversibel auf die Scherben aufgeklebt werden. Und nicht mit Tesafilm. Die Häkchen lassen ein Verschieben der Scherben nach der Fixierung zu und danach bleibt die Scherbe in ihrer gewünschten Position. Tesafilm schafft das nicht gut und ist zu labberig. Leider habe ich keinen Händler für diese Häkchen gefunden. Kennt
    einer von Euch eine Bezugsquelle?

    Ggf. wird sich ein Berufsrestaurator bei der Betrachtung meiner Versuche mit Grausen abwenden. Also zeige ich den Becher nur euch.

    Einen zerbrochenen Berkemeier habe ich noch in der Warteschleife, aber hier gibts echte Fehlstellen und noch weiß ich nicht, wie, und womit, ich die gläsern und farbig füllen kann.

    Gruß - Winfried

    Liebe Grüße Winfried


    Mein Avatar zeigt ein Narrenflötchen des 16. Jahrhunderts aus dem Töpferort Raeren.

    Alle meine Aussagen erfolgen nach bestem Wissen und Gewissen, jedoch ohne Gewähr für Ihre Richtigkeit. In keinem Fall wird für Schäden, die sich aus der Verwendung der abgerufenen Inhalte ergeben, Haftung übernommen.

    • Offizieller Beitrag

    ...
    Mit dem o.g. Kleber ist eine reversible Klebung nicht möglich. Der Kleber wird hart wie Stein und ist mit den handelsüblichen Lösungsmitteln nicht mehr anlösbar.
    ...
    Gruß - Winfried

    Hallo,
    leider ist es so, dass die reversible Klebung wichtig ist... Trotzdem ist es dir super gelungen.
    Wir haben damals immer mit Paraloid gerarbeitet... Da war das größte Problem, dass das Zeug bei Erwärmung weich wird.

    Manchmal sind dann gfeklebte Gefäße in der Vitrine richtig "aufgeblüht" :eek:

    • Offizieller Beitrag

    :)

    Meine Freude ist groß, wenn ich sehe, dass Neumitglieder auch in den alten Threads herumstöbern und sich mit längst "Abgehaktem" auseinandersetzen.
    So erfüllt unser feines Forum eine zusätzliche und wichtige Aufgabe als Ideenpool, und "Nachschlagewerk". Mal ganz abgesehen davon, dass es ja auch viel Spaß macht, sich hier adhoc auszutauschen.
    Das Ochsenkopfglas steht übrigens immer noch in meiner Vitrine, auch heute noch für mich ein erfreulicher Anblick, trotz seiner schweren "Verwundung".

    Liebe Grüße Winfried


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    Einmal editiert, zuletzt von Winfried (22. März 2016 um 12:55)

  • Ich weiss das es total schwer ist Glas zu restaurieren... aber das ist total genial gemacht! Macht Spaß sowas zu lesen :) Ich finde es toll wenn alte Dinge erhalten werden!!!

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