Alte Dokumente - Geschichte zum Greifen

    • Offizieller Beitrag

    Hi leutz,

    vor einiger Zeit ersteigerte ich einige Dokumente bei Ebay. Erkennbar war nur die Bauzeichnung, welche mein Interesse erweckte und mich schließlich knapp 45€ bezahlen ließen.

    Alles habe ich noch nicht gesichtet, die Sauklauen machen mir teils das Leben schwer. Beim Überfliegen stolperte ich immer wieder über "Knabenburg" und "Lauenstein". Alles aus der Ecke Hameln-Pyrmont.

    Es gibt tatsächlich einen Eintrag über diese "Burg": https://de.wikipedia.org/wiki/Knabenburg_(Lauenstein) (Dort auch die Namenserklärung).

    Originale Baupläne (haben Wasserzeichen) eines Haupthauses, welche 1724 errichtet worden sein soll. Laut Wiki zu Salzhemmensdorf gehörend und danach gesucht, fand ich dieses Bild: http://www.meinestadt.de/salzhemmendorf/bilder/detail/92066.
    Das Gebäude steht also immer noch. Nur das Dach ist mittlerweile anders und die Querstreben zwischen den Fenstern sind tiefer gesetzt worden. Interessant, dass es kein kompletter Steinbau ist, sondern aus Fachwerk besteht.

    Betrachtet man die Pläne näher fallen einem die Bleistifteintragungen auf. Raumbezeichnungen und -zuweisungen. Unten datiert auf das Jahr 1936 und unterschrieben von einer Elisabeth Rudorff.
    Selbst diese findet man im Netz: https://www.umwelt.uni-hannover.de/1108.html.
    Ihr Vater war Ernst Rudorff, eigentlich ein Berliner Komponist, welcher öfters seine Sommeraufenthalte dort verbrachte.
    1886 sollte dort die alte Eichenallee gefällt werden, er kaufte daraufhin das riesige Grundstück und erhielt damit die Allee. Er gilt damit als einer der Begründer des Naturschutzes in Deutschland: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Rudorff.

    Der dritte Plan wurde verkehrt nummeriert und steht damit Kopf. Er gehört zur linken Haushälfte. Leider steht nicht dabei, welche Etage und in welcher Zeit die Änderung fällt. Besitzt aber das gleiche Wasserzeichen wie die anderen Pläne.

    So gerät man durch ein paar alte Papierdokumente in die Geschichte und fragt sich, wie sowas bei Ebay landet.

    Wir können sogar noch etwas tiefer in die Geschichte einsteigen und uns die Schriftstücke (oder einige davon) anschauen. Mit diesen Brief habe ich aber meine Not. Die Schrift ist eine Katastrophe. Vielleicht ist die Adresse auch bloß in Französisch oder Latein.

    Lesen kann ich nur Nimeyer und unten de son altesse Serenissime a Eggersen(?)

    Immerhin fand ich heraus, dass es dort eine Domäne Eggersen gab.

    Doch damit erst mal genug für Heute.

    Gruß Chippi

  • :) Wundervoller Bericht Chippi! Ganz Herzlichen Dank für Deine sehr informative und vor allem interessante Berichterstattung! Das nenne ich mal ne tolle Recherché! Freue mich schon auf die Fortsetzung.....

    Non semper ea sunt, quae videntur!  - Phaedrus

    • Offizieller Beitrag

    Hi leutz,

    begeben wir uns nun tiefer in die Geschichte des Gebäudes. Der Brief ist eine echte Herausforderung. Ich konnte bisher nur einzelne Wörter identifizieren (das ist schon das richtige Wort dafür). Sicher ist nur das Jahr: 1749. Und unterzeichnet von "diener / Antohn Rolfs(?)". Eine echte Sauklaue!:mad:

    Zum Glück befindet sich noch ein Text drauf, dieser ist schön und kräftig geschrieben. Das Anliegen ist konnte ich erkennen, auch wenn ich mit dem Wortlaut meine Schwierigkeiten habe. Hier bescheinigt ein Martin Stolberg dem Oberamtmann Niemeyer, dass er den Arbeitslohn für seine Tätigkeit als Fenstermacher erhalten habe. Das war in Eggersen am 3.Okt.1749.

    Etwas zu Eggersen erfährt man hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Levedagsen.

    Der Brief wurde auch per Petschaft versiegelt, heute in 2 Teile gebrochen durch´s Öffnen. Typische Symbolik für das 18.Jh., eine Auflösung ist mir nicht möglich. Zu sehen sind z.B. ein herz mit Pfeil, 2 gegenüberstehende Vögel (Tauben?) mit 3 "Blumen", sowie die Initialen I E B (? - mittlerer Buchstabe auf dem Herz).

    Ein weiteres Schriftstück erwähnt wieder den Oberamtmann Niemeyer, also geschaut, ob sich etwas finden lässt und siehe da, es gibt auch einen Eintrag über ihn: https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Eberhard_Niemeyer.
    Hier geht es nicht um Öfen, sondern um Malerarbeiten. Erwähnt wird hier auch die "Knabenburg" sowie als Ort Lauenstein.

    Um eine Vorstellung zu geben, was man da genau liest, hier ein Versuch der Übertragung:

    "Behuf Verfertigung der Arbeit so
    vor den ...(?, eine Abkürzung) Oberamtmann Niemeyer
    alhie auf der Knabenburg vor den
    Mahler verfertiget Habe 9# (Einheit, aber welche?) beim
    abfolgen Laßen, davor ist Ein
    Thaler voll bezahlet, welches hie
    mit quitirend Bescheinige
    Lauenstein d. 27. Sept. 1749.

    Es ist mir auch vor 5 .... (?, wieder eine Einheit) Haar
    so die Weißbinden um Behuf
    des Schornsteins zu selbigen Anbau
    de verbrauchet. 10 "mgl" (Mgr =Mariengroschen) bezahlet.
    so dieses quitiret
    Hinrich Enggeler"

    Der dritte Text gibt noch Einblicke in die Währung der Zeit. Hier bescheinigt ein Freidrich Wilhelm Spielhof, dass er die Bezahlung in Höhe von 4 Reichsthaler und 6 Groschen für 5 gesetzte Öfen á 30 Groschen erhalten hat.

    Was waren nun 4 Reichsthaler und 6 Groschen? Er setzte 5 Öfen zu je 30 Groschen = 150 Groschen - 6 Groschen / 4 Thaler = 36 Groschen auf einen Taler. Das passt zu der Region, das damals zum Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg gehörte. In der galt der Mariengroschen zu 36/Taler als Währung. Im Anhang mal 24 Mariengroschen von 1693, welches selbst um 1750 noch so im Umlauf gewesen ist. Durchmesser 37/38mm und galt sowohl als Gulden als auch 2/3 Taler. Er bekam für seine Arbeit also 6 solcher Münzen plus ein 6 Groschenstück.

    Zum Schluss noch das Wasserzeichen des Papieres, welches einen nach links schreitenden Löwen zeigt. Dieser ähnelt dem Wappen des Ortsteiles Hemmendorf: http://wiki-de.genealogy.net/Hemmendorf,_Salzhemmendorf. Darunter steht allerdings noch etwas, was man vielleicht als "Hameln" lesen könnte, aber da passt der Löwe nicht.

    Damit ist der Einblick erst mal zu Ende. Bei den Schriftstücken handelt es sich also um Bescheinigen, eine Art früher Rechnungen. Der Oberamtmann hat als Auftraggeber sich von seinen Auftragnehmer quittieren lassen, dass er die geforderten Summen bezahlt habe. Während wiederum die Auftragnehmer sich ihre Leistungen werden haben bescheinigen lassen. Als Nachweis für beide Seiten.

    Gruß Chippi

    • Offizieller Beitrag

    Hi leutz,

    habe mir jetzt in Ruhe noch mal den Text vom Fenstermacher auf dem Brief angeschaut und muss mich etwas korrigieren. Martin Stolberg war nicht der Fenstermacher, sondern wohl nur der Schreiber. Der Fenstermacher war wohl des Schreibens nicht mächtig:

    "Daß mir .... Ober Ambtmann (?, Abkürzung)
    Niemeyer, auf meine Pupillen bezahlen habe
    4 Rthlr, Von dem Fenstermacher (Rthlr = Reichsthaler)
    Langkopf, von seinen
    verdienten Arbeitslohn
    von der Knabenburg, ein
    solches bescheiniget dieses
    Eggersen d. 3d. 8br. 1749

    Martin Stolberg"

    Gruß Chippi

    • Offizieller Beitrag

    Dieses schnörkelige "dhl" ist eine Buchstabenverbindung für "der hochlöbliche".

    Danke! Diese Abkürzung kommt hier häufiger vor.


    Dann schieben wir doch gleich noch eine Bescheinigung hinterher:

    "Specificatio

    Wegen der Ausmauerung der Fächer an den Wohn,,
    Hause auf der Knabenburg als
    ...................................................rth. gl. d.
    1. 256 Wände a jedes Fach 3 gr. - - 21 rth. 12 gl. -
    2. 8te Fenster zuzumauern jedes Stück 9 gl. - 2 rth. - -
    3. 74 Füllöcher a jedes 1 Mgl. - - - 2 rth. 2 gl. -
    __________________________________________
    Thut (?) des Arbeitslohn in Summa - 25 rth. 14 gl.

    Diese 25 rth. 14 gl. seyn mir von den dhl. Gogreven
    Walbaum heute Dato richtig bezahlt, und wird hier,,
    über zu allen Dank gebührend Quitirt.

    Lauenstein d. 30ten Mäj.
    1749 Johann Behrend Stoock(?)"

    Laut Wiki soll das Gebäude 1724 errichtet worden sein. Man kann jetzt spekulieren und sagen, dass mit Stroh und Lehn die Fächer ursprünglich gefüllt waren und durch den Besitzer durch gemauerte Steine ersetzt wurden. Das Gebäude muss jedenfalls schon eine Weile gestanden haben, da hier auf die Zumauerung von 8 Fenstern erwähnt wird.

    Hier lässt sich auch das Währungssystem nachvollziehen:

    Das Kürzel rth. steht für Reichsthaler, gl. für Groschen und d. für Pfennig (von latein. Denarius = Pfennig). Das Kürzel Mgl. steht hier für Mariengroschen, was zur Region wiederum passt. Kurze Überprüfung:

    256 Wände á 3 Groschen - 12 Groschen = 21 Reihsthaler : 21 = 36 (Marien)Groschen/Reichsthaler

    8 Fenster á 9 Groschen = 2 : 2 = 36 (Marien)Groschen/Reichsthaler

    und 74 á 1 Groschen - 2 Groschen = 2 : 2 = 36 (Marien)Groschen/Reichsthaler

    Passt also alles. Übrigens war der Reichsthaler dort nur eine Rechnungsgröße, ausgemünzt wurden nur 24 Mariengroschen (zu 2/3 Reichsthaler). Ein Bsp. aus der Zeit seht ihr hier:
    https://www.acsearch.info/search.html?id=469951.

    Erwähnenswert ist auch das Wort "Gogreven", eine plattdeutsche Form von Gograf bzw. Gaugraf und bezeichnete einen Go-/Gaurichter:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Gograf.
    Daher leiten sich übrigens auch die Namen wie auch das Geschlecht Gogreve/Hogreve und Varianten davon ab:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Hogrefe,
    https://de.wikipedia.org/wiki/Gaugreben.

    Selbst zu den Gogreve Walbaum habe ich etwas gefunden: Er hieß Johann Christoph Walbaum und wurde am 10.Dez. 1683 in Lauenstein geboren, wo er am 12.Jan. 1763 auch starb. Walbaum war Organist, Gogreve und Bürgermeister zu Lauenstein. Quellen:
    http://www.repplier.net/walbaum4/pafg03.htm,
    http://www.deutsche-biographie.de/sfz12205.html.

    Wie ihr seht, kann man sich auch genauer in die einzelnen Dokumente einarbeiten.

    Gruß Chippi

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