Aus dem Leben von Büchern

    • Offizieller Beitrag

    Ein recht ungewöhnlicher Titel, aber am folgenden Buch möchte ich euch zeigen, was ich damit meine.

    Anregung war die ehemalige Münzhandlung A. Riechmann in Halle/Saale. Da nicht jeder die ehemalige Münzhandlung kennt, zitiere ich diesen schönen Beitrag:

    "Aus den Sonntags Nachrichten (Halle)

    Riechmann gründete erste Münzenhandlung
    von Dr. Walter Müller Sonntag, den 13. September 2009

    HALLE. Das 1898 erbaute mehrstöckige Wohnhaus Adam-Kuckhoff-Straße 36 (von 1868-1963 Sophienstraße) besitzt ein monumentales Eingangsportal, das im merkwürdigen Gegensatz zur heutigen schlichten Fassade steht. Es wurde 1924 im Stil eines Torhauses aus Muschelkalkstein an das bestehende Gebäude angebaut. Dessen Säulen tragen ein Giebeldach und auf der Schauseite sind eine Eule, Münzen und Medaillen, Bücher und sonstige allegorische Gegenstände zu sehen.

    Die großäugige Eule muss dabei als Sinnbild der Wissenschaft verstanden werden. Die anderen Gegenstände sollen symbolisch kennzeichnen, dass sich in diesem Haus die Geschäftsräume der Münzhandlung Albert Riechmann & Co befanden.

    Der vor 125 Jahren am 12. September 1884 in Bangkok geborene Kaufmann und Numismatiker Albert Riechmann hatte 1910 bereits in Halle in der Magdeburger Straße 34 eine Münzen- und Medaillenhandlung gegründet, in die 1912 als Mitinhaber sein Studienfreund Dr. Richard Gaettens (1886-1965) einstieg. Ab diesem Zeitpunkt führte die Firma den Namen Albert Riechmann & Co. Gaettens war 1910 als Assistent an das chemische Institut der Universität gekommen, musste aber aufgrund eines Lungenleidens dort bald aufhören. Das sich seit Anfang 1912 in seinem Besitz befindliche Haus Sophienstraße 36 wurde noch im Sommer umgebaut. Schon am 15. September 1912 wurden die umgebauten Geschäftsräume in der ehemaligen Wohnung von Professor Gustav Warneck (1834-1910) mit einer Stahlschrankanlage für 40.000 Münzen, großem Auktionssaal, mehreren Bibliotheksräumen, einen Hauptkontor und weiteren Arbeitszimmern bezogen.

    Über Albert Riechmann lässt sich bisher nicht viel mehr in Erfahrung bringen, als dass er sich in der gemeinsamen Firma vor allem um den 1913 gegründeten numismatischen Verlag sowie die entsprechende Spezialbuchhandlung mit Antiquariat kümmerte. Ab 1913 wurde in dem damals in Deutschland führenden Fachverlag die Zeitschrift „Archiv für Medaillen- und Plakettenkunde“, ab 1923 die „Blätter für Münzfreunde“ und ab 1937 das „Numismatische Nachrichtenblatt“ verlegt. Ansonsten ist nur bekannt, dass seine erste Frau 1921 starb, und er 1922 erneut heiratete. Spätestens Ende der 1920er Jahre scheint er sich aus der Firma zurückgezogen zu haben und wohnte zeitweilig in Berlin beziehungsweise in Steinhude bei Hannover.

    Dr. Gaettens leitete den eigentlichen Münz- und Medaillenhandel und war vor allem für die Auktionen zuständig. Immerhin führte die europaweit agierende Münzenhandlung seit ihrer Gründung 41 Auktionen bis 1934 durch, auf denen zahlreiche bedeutende Sammlungen sowie häufig numismatische Raritäten veräußert wurden.
    Den im Juli 1923 gestellten Antrag zum „Bau eines Säulenzuganges“ für das Grundstück in der Sophienstraße begründete die Firma damit, im Zusammenhang mit der vorgesehenen öffentlichen Nutzung der firmeneigenen numismatischen Fachbibliothek mit nahezu 10.000 Bänden einen repräsentativen Zugang zu benötigen. Die in der Zeit der Hyperinflation geplanten Baukosten von 80 bis 90 Millionen Mark führten jedoch bei den ständigen Preissteigerungen bis Ende 1923 dazu, dass sich der Bau verzögerte und erst Anfang 1924 realisiert werden konnte.

    Die Weltwirtschaftkrise 1929/ 1930 zwang die Firma zu Notverkäufen und führte dazu, dass Anfang 1933 das Grundstück in der Sophienstraße verkauft werden musste. Kleinere Geschäftsräume wurden noch im gleichen Jahr in der Großen Steinstraße 19 (ehemals Bankhaus Lehmann), später in der Königstraße 7 bezogen, bevor 1941 der Firmensitz nach Berlin verlegt wurde. In der Saalestadt dagegen bestand noch bis Anfang der 1950er Jahre eine Buchhandlung „A. Riechmann & Co“ in der inzwischen den Namen Rudolf-Breitscheid tragenden Straße (Nr. 7)."


    Das Besondere an der Münzhandlung war die Präsenzbibliothek mit über 10.000 Bänden (!!!) und das eigene Verlagswesen. Im 2.Weltkrieg wurde der Bestand, nach dem Erzählen von Ulf Dräger, in Halle u.a. Leiter des Landesmünzkabinetts, in die Ukraine ausgelagert, wo sich die Spur 1944 verliert. Niemand weiß, was danach passierte. Aber mindestens ein Buch hat die Zeiten überstanden.
    Das weiß ich genau, denn es befindet sich seit wenigen Jahren in meinem Besitz (Preis damals waren so um die 59€ plus oder inkl. Versand, das günstigste Angebot damals, allerdings war von den Vorbesitzern keine Rede).
    Das Buch hat eine interessante Vita, welche ich bis ins Jahr 1917 zurück verfolgen konnte! Die Buchhändler etc. lasse ich aus. Vor mir gehörte es einem "stud.phil Eberhard Ruschenbusch", die Bezeichnung "stud. phil." besagt, dass er beim Erwerb noch kein Dr. oder Professor war, gekauft also vor 1967. Zur Person:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Eberhard_Ruschenbusch.
    Die Zeit davor bis zum 2.WK. zurück kann ich nicht mit einem Besitzer belegen, vorher war es aber im Bestand der Münzhandlung A.Riechmann, wie die Stempel es zweifelsfrei belegen.
    Vielleicht ersteigerte es Riechmann sogar selber, jedenfalls nicht lange nach der Versteigerung dürfte es in den Besitz der Münzhandlung gekommen sein.
    Welche Versteigerung? Darüber gibt der dritte Name Auskunft, ich lese es als "Dr. Weygand". Dieser war Staatsanwalt und leidenschaftlicher Münzsammler aus Düsseldorf. Seine Erben ließen im Januar des Jahres 1917 sein Erbe versteigern. Beauftragt wurde niemand geringeres als die Münzhandlung Adolph Hess Nachfahre in Frankfurt am Main, unter der Nummer 4352 findet ihr das Buch hier:
    https://digi.ub.uni-heidelberg.de/digli ... 0246/image. Mit Bleistift wurde sogar das Ergebnis notiert: 26 Mark.
    Wann er es gekauft hatte, kann ich nicht sagen, könnte aber wirklich der Erstbesitzer gewesen sein.

    Ein Buch mit einem numismatischen Pedigree, wer hätte das gedacht.

    Neben dem Buch habe ich euch noch 3 Fotos von dem Haus mit dem Torbau gemacht, wo die Münzhandlung einst saß.

    Gruß Chippi

    • Offizieller Beitrag

    Tolle Recherche und interessante Geschichte. Danke! :)

    ich denke oft wenn ich ein altes Buch in Händen halte was für eine Historie wohl dahintersteckt... leider lassen die sich nicht so gut offen legen wie in diesem Fall.

    Die Darstellung auf dem Giebel ist genial---für eine Münzhandlung und überhaupt... :rolleyes:

    Mit besten Sammlergrüßen

    Gratian

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    • Offizieller Beitrag

    :-):-):-)

    Das, lieber Chippi,

    ist genau das, worüber ich mich bei Eisvogels Recherche zum Krug des Athleten Club Schweinfurt von 1896 so gefreut habe.

    Auch Du hast mit akribischer Recherche dem Buch ganz viel neue Individualität eingehaucht. Toll zu lesen, und anhand der Resultate kann ich nachvollziehen, wieviel Spaß Dir die Recherche gemacht haben muss! Chapeau !! lieber Chippi.

    Liebe Grüße Winfried


    Mein Avatar zeigt ein Narrenflötchen des 16. Jahrhunderts aus dem Töpferort Raeren.

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    • Offizieller Beitrag

    Ja, es ist selten, dass man alle Namen zuordnen kann. Ob man in der Zukunft auch meinen Namen zuordnen kann? Selbstverständlich habe ich mich auch eingetragen und bin nun ein Teil der Geschichte. Möge es lange bei mir stehen und mich überdauern.
    Es liegt auch ein Zettel mit Infos zu den Namen drin, damit sollten es zukünftige Besitzer vielleicht mal leicht haben.

    Vielleicht habt ihr ja auch ein Büchlein aus dessem vorherigen Leben ihr etwas schreiben könnt? Berühmte Vorbesitzer etc. Dann nur zu.

    Gruß Chippi

    • Offizieller Beitrag

    :-):-)

    Eine schöne Idee, lieber Chippi,

    obgleich ich jetzt schon weiß, dass ich persönlich wahrscheinlich dazu nichts beitragen kann. Aber trotzdem werde ich mal schauen.

    Liebe Grüße Winfried


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