„Mein erstes Buch“

    • Offizieller Beitrag

    Ich habe mir lange überlegt, was ich Euch heute im 8. Türchen des Adventskalenders zeigen will...es gibt ja einiges was ich als passionierter Antik- und Flohmarktgänger zeigen könnte. Ich habe mich für etwas sehr persönliches entschieden, das auch etwas Licht in die Frage bringt: was prägt einen Sammler, warum sammelt man und warum gerade dieses oder jenes?

    Ich bin ein sehr bibliophiler Mensch: Bücher haben mich schon immer fasziniert, sind meine Leidenschaft und Passion. Ich bin ein Bücherjäger: Kein Flohmarkt bei dem ich nicht kopfüber in Bücherkisten versinke und fast immer mit "Beute" nach Hause komme...Ich habe inzwischen sehr viele Bücher zusammengetragen, so dass es trotz einer schönen, großen Bibliothek schon echte Platzprobleme gibt. Aber warum bin ich so versessen auf Bücher? Ich glaube es liegt auch daran das ich schon sehr früh mit Büchern in Kontakt kam. Im Elternhaus, mein Vater und meine Mutter lasen mir sehr viel vor und zu jedem Weihnachtsfest gehörte auch ein Buchgeschenk. Zunächst Bilderbücher, dann Karl May und später auch Sachbücher.

    Hinter dem Türchen Nr. 8 verbirgt sich daher ein Buch! Nein nicht ein Buch, sondern mein erstes Buch!...und zwar nicht weil es das erste Buch war das ich besaß sondern weil es so heißt: "Mein erstes Buch" - meine Schulfibel mit der ich lesen und schreiben gelernt habe....und so den Schlüssel in die Hand bekam um die Tür zu den Phantasiewelten der Bücher für mich selbstständig eröffnen zu können.

    1964 wurde ich eingeschult und lernte in einer Volksschule lesen, schreiben und rechnen....sehr hilfreich dabei war meine Fibel die den Titel „Mein erstes Buch“ trug. Vollständig:
    Mein erstes Buch zum Anschauen, Zeichnen, Lesen und Schreiben von Hans Brückl unter Mitarbeit von Württemberger Lehrern, Bayrischer Schulbuch-Verlag und R. Oldenbourg Verlag München.
    6. Auflage 1964.

    Moment! Wird da der aufmerksame Forumleser jetzt sagen: Gratian lebt in Hamburg was haben da Württembergische Lehrer und der Bayrische Schulbuch Verlag damit zu tun? Noch unverständlicher wird es, wenn ich nun verrate, dass ich meine Kindheit und damit auch die Schulzeit in Rheinland-Pfalz verbracht habe....
    Tja liebe Leser und damit geht ein Gruß an alle Kultusminister in diesem unserem föderalistischen Lande: im Jahr 1964 gab es (fast) bundesweit nur ein einziges Schulbuch für Erstklässler an deutschen Schulen....Heute ist das ganz anders und undenkbar...jedes Bundesland was Eigenes und jedes Jahr ein Neues..zum Wohle der Buchindustrie, als Existenzberechtigung für 16 verschiedene Kultusbehörden und unzähligen Beamten bei den Schulbehörden und zum Leidwesen der Eltern die das alles bezahlen müssen...nebenbei: das Buch hatte auch mein fast zwei Jahre älterer Bruder, so dass ich es nicht neu, sondern als gebrauchtes Buch erhielt und auch noch Schüler nach mir mit dem gleichen Buch lesen und schreiben lernten.

    Es handelt sich um die Brückl-Fibel deren Ursprünge in den 1920iger Jahren zu suchen sind und die damals noch „Mein Buch“ hieß. Die erste Nachkriegsausgabe erschien 1947 unter dem Titel „Mein erstes Buch“. “Hans Brückls Fibel ist Zeuge einer bewegten Fibelgeschichte von mehr als 40 Jahren. Immer wieder wurde ‘Mein Buch’ neu aufgelegt und den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen angepaßt. Weimarer Republik, Drittes Reich und Bundesrepublik, immer wußte die Brückl’sche Fibel den Geschmack der Zeit und ihre Ideologie zu treffen und den Kindern zu gefallen” (Zitat aus May/ Schweitzer S. 150).

    Das hier gezeigte Buch ist natürlich nicht das Originalexemplar von meiner Schulfibel – das ist sicher schon irgendwo nach einigen Generationen zerfleddert einen ehrenwerten Büchertod gestorben - sondern es ist nur ein Exemplar der Ausgabe die ich seinerzeit Tag für Tag benutzen durfte.

    Ich hatte es eigentlich schon vergessen da sah ich beim stöbern bei Ebay eines Tages dieses „Buch aller Bücher „und war elektrisiert. Diese farbenfrohen, markanten Illustrationen von Brigitte Ludszuweit und Gertrud Mooser, die einfachen, einprägsamen Texte, Erinnerungen kamen wieder. Das musste ich haben. Ich war erstaunt welche Preise dafür aufgerufen werden. Die Preise in einschlägigen Antiquariaten waren noch höher. Meine ersten Gebote gingen natürlich voll unter und ich versuchte immer wieder das Buch, das mal mehr oder weniger häufig angeboten wird, zu ersteigern. Irgendwann gelang es mir, das Buch, leider sehr mitgenommen und zerfleddert, zu ergattern. Der Preis lag damals bei etwa 38 DM. Ziemlich viel für die abgegriffene, vermalte und zerfledderte Schwarte die dafür bekam ...aber ich war glücklich. Nur einige Monate später fand ich das gleiche Buch in Top Zustand beim Stöbern in einer Bücherkiste auf einem Flohmarkt in Schleswig-Holstein... und wen wundert es noch: es stammt aus der Hilfsbücherei einer Volksschule aus einem Ort in Niedersachsen... den auch Schleswig-Holstein und Niedersachsen nutzten 1964 das gleiche Buch.

    Die 2 DM die der Verkäufer forderte habe ich gerne bezahlt...Tja so spielt das Leben eines Flohmarktgängers...Die alte bei Ebay erworbene Schwarte habe ich dann wieder bei Ebay verkauft...annähernd zum gleichen Preis den ich damals dafür gezahlt hatte. Das Buch ist heute Bestandteil meiner kleinen Bibliothek von Kinderbüchern in der sich inzwischen wieder viele meiner Kindheitserinnerungen befinden.

    Was ist denn nun das faszinierende an dem Buch? Es ist für mich Erinnerung pur...alle Bilder, alle Gedichte und Geschichten sind mir so nah. Sie haben sich eingeprägt, ganz tief im Unterbewussten. Sie verströmen das Gefühl von Nähe, Wärme und ja – Geborgenheit. In ihnen werden einfache Werte vermittelt (Familie, Zusammenhalt, Ordnung, Hilfsbereitschaft). Und es klingt vielleicht merkwürdig aber die Zeichnungen sind einfach schön und auf besondere Weise kindlich, vertraut. Heile Welt? Kitsch? Ja vielleicht, aber vor allem Erinnerung an Kindheit, Heimat, Familie und eine Zeit die ich als Kind erleben durfte und die ich als schön, bereichernd und im positiven prägend empfinde.
    So nun aber genug geschwärmt. Hier ein paar Bilder für alle die mit anderen Schulbüchern groß geworden sind, aber auch für die die das Buch auch als „erstes Buch“ erlebt haben. Dazu noch ein Foto von mir im ersten Schuljahr. Auf der Tafel im Hintergrund „Dora“ geschrieben von meiner Volksschullehrerin und dem Bild der Dora aus dem Schulbuch.

    Wenn ihr Erinnerungen an Euer „Erstes Buch“ habt schreibt mir gerne dazu, schreibt mir welche Bilder Euch besonders fasziniert haben und woran ihr noch Erinnerungen habt...an das Post-Auto, den „dummen August“ im Cirkus, das Abendlied vom Mond? Die Bremer Stadtmusikanten, den Igel im Gras, die Eisblumen am Fenster, was der Bäcker alles backt, der Kaminfeger, beim Schäfer oder Rudi krank im Bett?

    Ich wünsche allen Lesern des KuT Forums eine weiterhin schöne und friedvolle Adventszeit und vielleicht auch ein paar besinnliche Stunden um ein Buch zur Hand zu nehmen und zu entspannen....

  • :-):-):-) Vielen Dank für deinen wunderbaren Beitrag! Ich freue mich mit dir, dass du eine so schöne Ausgabe dieses Buchs gefunden hast. Die Bilder haben auch heute noch eine große Wirkung. Wie dankbar bin ich aber für die Rechtschreibreform! "Nuß" mit "ß" aber "Nüsse" mit "ss". Zum Verzweifeln.

    Wenn ich mich richtig erinnere gab es in meiner Schulzeit nichts vergleichbares mehr. Stattdessen hatten wir monatlich erscheinende Heftchen wie "Spatzenpost" und später "Jungösterreich".

    • Offizieller Beitrag

    Hallo,

    ich weiss zwar noch, dass auch wir ein Lesebuch hatten, wo wir mit Mimi und Mami anfingen lesen zu lernen, aber besonders eingeprägt hat es sich bei mir nicht. Es war sicher nicht so liebevoll gestaltet wie dieses.
    Es war für mich eher Werkzeug um meine eigenen geliebten Kinderbücher lesen zu können. Aber auch die sind mir nicht geblieben, sondern wurden an jüngere Bekannte und Verwandte weitergeben, wenn sich wiedermal zu viel angesammelt hatte. Gelesen hab ich immer schon gerne.

    Als Erwachsener hab ich mich dann gegen das Wiederkaufen von Kinderbüchern entschieden, weil ich auch so schon zu wenig Platz habe.
    Somit habe ich nur eine Ausgabe der Wiener Märchen von Annelies Umlauf Lamatsch und ein Märchenbuch ua mit den Geschichten von Nasreddin, die beide Jahrzehnte älter als ich sind, die einerseits schon so zerfleddert waren und die ich andererseits so gemocht habe, dass ich sie nie gegen neue Bücher eintauschen wollte. Ich habe Altes immer schon geschätzt.

    • Offizieller Beitrag

    :-):-)

    An mein erstes Lesebuch erinnere ich mich leider nicht mehr, meine Einschulung war Ostern 1953 in Köln-Rath. Ich durfte noch die Buchstaben A B C usw. einzeln schreiben und als das Alphabet bekannt war, wurden einzelne Worte gebildet.

    An das erste Lesebuch meines Bruders, 15 Monate jünger als ich, kann ich mich jedoch erinnern. Der arme Kerl war einer der ersten Schüler, an denen die "Ganzheitsmethode" ausprobiert wurde. In seinem ersten Lesebuch stand als erster Satz: "Zippel und Zappel sitzen im Keller".
    Was für ein blödsinniger Satz für ein kleines Kind, welches noch keinen einzigen Buchstaben kennt. Wer sind Zippel und Zappel und warum, um alles in der Welt, sitzen die beiden Armen im Keller? Ob das Büchlein damals Zwergenfibel hieß, weiß ich leider nicht mehr, aber an Zippel und Zappel erinnerte ich mich noch gut. Der "Erfolg" der Ganzheitsmethode kam übrigens recht schmalfüßig daher. Mein Bruder hat die Rechtschreibung nie wirklich beherrscht.

    Danke lieber Gratian für dein wundervolles Adventsfenster!

    Liebe Grüße Winfried


    Mein Avatar zeigt ein Narrenflötchen des 16. Jahrhunderts aus dem Töpferort Raeren.

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